Geschichte des Weißbieres

Die Ausgangslage

Die bis heute gegebene herausragende Bedeutung des Bieres in Bayern ist wohl erst ab der frühen Neuzeit, sicher maßgeblich gefördert durch das Reinheitsgebot, feststellbar. Zuvor war in Bayern das Bierbrauen alles andere als ein blühendes Gewerbe.

Bier wurde vor allem im hauswirtschaftlichen Betrieb auf den abgabepflichtigen Bauernhöfen hergestellt und als Abgabe an die jeweiligen Grundherren (Herzog, Adelige, Klöster) geliefert.

Solange Dekrete das Bierbrauen in Bayern nicht in geregelte Bahnen führten, bestimmten so die örtlichen Gegebenheiten wie die regional schwankende Nachfrage, die Ausstattung der Brauereien usw. die Bierherstellung.

Ansätze eines gewerblichen Brauwesens in Bayern sind wohl erst ab dem 13./14. Jh. anzusetzen. Zugleich wurde seitens der Obrigkeit versucht, Produktion und Vertrieb des Bieres durch Vorgaben zu regeln.

In Nürnberg z. B. wurde bereits 1303/05 aufgrund einer Hungersnot erlassen, dass zum Bierbrauen nur Gerste und kein anderes Getreide verwendet werden darf. Es folgten eine ganze Reihe weiterer regionaler Regelungen, z. B. die 1487 für die Stadt München erlassene Brauordnung, die die Bierproduktion auf Hopfen, Gerste und Wasser beschränkte, oder das durch Herzog Georg den Reichen 1493 für das Teilherzogtum Bayern-Landshut erlassene Gesetz, das allerdings bei Aufführung der Zutaten neben Hopfen und Wasser allgemeiner von „Malz“ spricht, ohne das zu dessen Herstellung zu verwendende Getreide eindeutig zu benennen.

Wurde bis ins späte 15 Jahrhundert in Bayern untergärig gebraut, so gelangte erst um 1480 die Technik der obergärigen Bierherstellung aus Böhmen nach Bayern. Zwar zeichnete sich das untergärig gebraute Bier durch bessere Haltbarkeit aus, die kühleren Gär- und Lagertemperaturen ließen die Bierproduktion jedoch nur bei entsprechend niedrigen Außentemperaturen zu, die untergärige Bierproduktion war in den Sommermonaten unmöglich. Der entscheidende Vorteil des obergärigen Bieres war demgegenüber, dass es gerade auch im Sommer, zur Zeit des größten Durstes, gebraut werden konnte.

Zunächst wurde auch das obergärige Bier weitestgehend aus Gerstenmalz hergestellt. Doch fand im 15. Jahrhundert das Weißbier aus Böhmen kommend seinen Weg zunächst in die Oberpfalz und nach Niederbayern. Unter landesherrlicher Führung entwickelte es sich in den nachfolgenden Jahrhunderten zu einer Haupteinnahmequelle des Herzogtums Bayern.

Seine weitere Entwicklung wurde allerdings zunächst dadurch gehemmt, dass der oberbayerische Herzog Wilhelm IV. und sein bis dahin Bayern-Landshut regierender Bruder Ludwig X. im sog. „Bayerischen Reinheitsgebot“ von 1516 als Teil der seinerzeit in Ingolstadt erlassenen Landesordnung, die letztlich der Rechtsangleichung in den beiden bis dahin selbständigen Teilherzogtümern Ober- und Niederbayern diente, neben Hopfen und Wasser nur die Gerste als zulässiges Braugetreide erwähnten. Man griff bzgl. des Reinheitsgebotes wohl nur der Einfachheit halber das bereits existierende Münchner Gebot von 1487 auf, möglicherweise ohne allzu viel darüber nachzudenken, ob man jetzt den Begriff „Gerste“ oder „Malz“ allgemein verwenden solle.

Dies indes, wie nachfolgend noch zu zeigen sein wird, nicht aus Zweifeln an der „Reinheit“ des Weizens, sondern zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit dem wertvollen Brotgetreide Weizen und letztlich aus handfestem ökonomischem Eigeninteresse.

Herzogliche Weißbierprivilegien

Der Ursprung der modernen bayerischen Weizenbierentwicklung liegt im niederbayerischen Schwarzach, dem Stammsitz der Degenberger.
Am 3. August 1548 verlieh Herzog Wilhelm IV. (derselbe also, dem wir das „Reinheitsgebot“ 32 Jahre zuvor verdanken) seinem Landhofmeister in Niederbayern, Hans VI. von Degenberg, in Schwarzach in Würdigung seiner Verdienste das Privileg, im nordostbayerischen Raum Weiß- oder Weizenbier zu brauen und zu verkaufen.

Die Degenberger verfügten über drei Brauhäuser: in Schwarzach selbst, in Zwiesel und in Linden, in denen sie Weißbier herstellten.
Der Wirtschaftszweig entwickelte sich rasch zu bedeutendsten Einnahmequelle der Familie.

Als 1567 das Brauen von “Weißem Bier” durch Herzog Albrecht V., Sohn Wilhelms IV., als “betrügerisches Brauen” bezeichnet im ganzen Herzogtum Bayern verboten wurde, weil hierzu zu viel Weizen verbraucht wurde und es ein “unnützes Getränk sei, das weder führe noch nähre, noch Kraft und Macht gäbe, sondern nur zum Trinken anreize”, blieben allein die Degenberger von diesem Verbot ausgenommen.

Ein weiteres Weißbierprivileg verlieh ungeachtet dessen Wilhelm V., Enkel Wilhelms IV., am 14.6.1586 Ottheinrich von Schwarzenberg für dessen Brauhaus in Winzer an der Donau.
Hans Sigmund von Degenberg starb am 10. Juni 1602 und war der letzte männliche Nachkomme des in Schwarzach ansässigen Grafengeschlechts der Degenberger. Da das Weißbier-Privileg 1548 von seinem Vorfahrern Wilhelm IV an die Degenberger ausgegeben worden war, zog Wilhelms IV. Urenkel Herzog Maximilian I. das Privileg wieder an sich.
Am 1. August 1602 übernahm Maximilian I. die Degenberger Weißbierbrauereien, denn er wollte die Einkünfte aus dem Weißbier selber nutzen. Das obergärige Bier erfreute sich nämlich rasch wachsender Beliebtheit.
Am 29. April 1603 erwarb Herzog Maximilian I. zusätzlich das Schloss und den Markt Winzer und damit auch das durch seinen Großvater den Schwarzenbergern verliehene weitere Weißbierprivileg. Damit verfügten die Wittelsbacher faktisch über ein bayernweites Weißbiermonopol.
Um konkurrenzlos Weizenbier brauen zu können, sorgte Maximilian I. zudem dafür, dass das Verbot von 1567, das auch in den beiden Privilegien von 1548 und 1586 formuliert worden war, nicht aufgehoben wurde.

Das Weißbiermonopol als attraktive staatliche Einnahmequelle

Es war insofern also nicht nur die selbstlose Sorge um das Volkswohl und die Ernährungssicherung, gewissermaßen früher Verbraucherschutz, die für das Verbot der Verwendung von Weizenmalz zur Bierherstellung verantwortlich gemacht werden kann.
Es standen vor allem handfeste wirtschaftliche Interessen dahinter!

Denn das Weißbiermonopol war eine sichere Einnahmequelle der Wittelsbacher, aus der sie beträchtliche Teile ihres Staatshaushaltes (und der Kosten des 30-jährigen Krieges) zu bestreiten vermochten. Maximilian I. hatte den Schwarzacher Weißbierbraumeister Siegmund Bettl nach München berufen und gründete neben dem bereits vorhandenen “Braunen Hofbräuhaus” ein “Weißes Hofbräuhaus”, mit dessen Bau 1607 begonnen wurde und das an der Stelle des heute weltberühmten “Hofbräuhauses” seinen Sitz hatte. Bis dahin wurde das Weißbier in München noch im Alten Hof gebraut.

Die Weißbiernachfrage stieg so stark, dass beständig neue Sudpfannen aufgestellt werden mussten und man sogar eine Kapelle innerhalb der Mauern des Brauhauses einrichtete mit der Begründung, vor lauter Arbeit kämen die Biersieder nicht dazu, die Gottesdienste in der Kirche “Zu unsrer Lieben Frau” oder in “St. Peter” zu besuchen.

Die Herstellung von Weizenbier als Regal, d.h. wirtschaftlich nutzbares Hoheitsrecht des Herrscherhauses, blieb aufgrund im ganzen Herzogtum rasch steigender Nachfrage jedoch nicht nur auf München beschränkt. Überall im Land entstanden kurfürstliche Brauhäuser, in denen Weizenbier – natürlich gegen eine entsprechende Abgabe – gebraut wurde (Kelheim, Traunstein, Vilshofen, Mattighofen (heute Innviertel, Österreich), Mindelheim, Hals, Mering, Weichs, Cham, später auch Weilheim und Miesbach).

Die große Beliebtheit des Weißbieres und die Monopolstellung des Herzoghauses riefen natürlich auch Kritiker auf den Plan.

Diese allgemeine Kritik am Weißbier lässt sich noch am ehesten aus den Beiträgen anlässlich der 1605 und 1612 stattfindenden Landtage ablesen, die sich ausführlich mit der Weißbierproduktion befassten.

Die Vertreter der Landstände argumentierten nämlich, das herzogliche Weißbiermonopol gefährde den Bestand des herkömmlichen Braugewerbes. Außerdem werde für die Weißbierproduktion das zum Brotbacken benötigte Getreide verschwendet, was nicht nur eine Verringerung der Brotqualität, sonder auch steigende Brotpreise zu Folge habe.

Weizenbier und das Reinheitsgebot

Dass das Weizenmalz also von der Bierproduktion ausgeschlossen bleiben sollte, war im Wesentlichen in der Sorge begründet, dass die Weizenernte nicht für die Brot- und die Bierherstellung reichte, keineswegs jedoch mit Zweifeln an seiner „Reinheit“.

Die ausschließlich Erwähnung der Gerste in der Landesordnung von 1516, deren die Bierproduktion und vor allem den Bierpreis betreffende etwa einseitige Passage heute als „Bayerisches Reinheitsgebot von 1516“ bezeichnet wird, markiert also nur eine qualitative Untergrenze des zur Malz- und späteren Bierbereitung zulässigen Getreides. Das als höherwertiger eingestufte Brotgetreide Weizen erfüllt selbstverständlich die „Reinheitskriterien“ des Gebotes seinem Sinne nach. Ausgeschlossen werden sollten indes Malzersatzstoffe wie Rinden, Ruß,…, die dem Bier weit billiger zu Geschmack und Farbe verhalfen als hochwertiges Braugetreide und daraus hergestelltes Malz.

Beim Reinheitsgebot handelt es sich also eher um ein Verbot, was nicht ins Bier hinein darf, als um eine Verpflichtung, was hinein muss. Da die Verwendung von Weizen jetzt schon seit über 450 Jahren als im Einklang mit dem Bayerischen Reinheitsgebot von 1516 gesehen wird, darf man wohl von einer traditionellen Anerkennung sprechen.

Wie sollte Weizenbier auch nicht dem Sinn des Reinheitsgebotes von 1516 entsprechen, wenn Herzog Wilhelm IV. erst gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig X. dieses „Reinheitsgebot“ erlässt und einige Jahre später selbst und ausschließlich den Degenbergern die Weißbierproduktion ausdrücklich gestattet?

Noch 1761 erging folgender Erlass: “Weißes Weizenbier zu sieden ist im ganzen Lande weder zum Verschleis noch Haus-Trunck jemand berechtigt, sondern dieses gebühret obverstandenermassen der gnädigsten Landes-Herrschaft ganz allein”.

Neben diesem Regal bestand ein weiterer Wettbewerbsvorteil der Weißbierbrauer darin, dass Herzog Albrecht V. in der 1553 erlassenen Landesordnung festgelegt hatte, dass die Herstellung des (untergärigen) Braunbieres auf die Zeit zwischen Michaeli (29. September) und Georgi (23. April) beschränkt war, dass Weißbierbrauen jedoch ganzjährig erlaubt war.

Diese Beschränkung der Brauzeit für Braunbier wurde durch Herzog Maximilian I. in seiner Polizeiordnung von 1616 nochmals ausdrücklich bestätigt.

Erst als Mitte des 18. Jhd. durch eine Verbesserung der Brautechnik die Qualität des Braunbieres an die des Weizenbieres heranzureichen vermochte und die Weizenbiernachfrage sank, wurde 1798 durch Kurfürst Karl-Theodor das Recht des Weizenbierbrauens an jedermann abgegeben. Der Weißbierzwang der Wirte war aufgrund des sich wandelnden Verbraucherverhaltens nicht mehr haltbar, die kurfürstlichen Weißbierbrauereien machten Verluste. So wurden zwischen 1800 und 1812 alle Brauhäuser, die sich im Besitz des Landesherrn befanden, mit den Ausnahmen der Braunbierbrauhäuser in München und Schleißheim veräußert oder verpachtet.

Zwar hielten einige Brauereien die Weizenbierproduktion aufrecht, bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts jedoch hielt es eine Art “Dornröschenschlaf” und hatte kaum Marktbedeutung. Heute ist das Weißbier die stärkste der bayerischen Biersorten – mit weiterhin wachsender Marktbedeutung inner-, vor allem aber außerhalb Bayerns.